Hochsommer, mein Tiekholzdecktschär und ein richtig schön kalter Eistee bringen mich in Plauderlaune. Heute plaudere ich ein wenig über die letzte Ausstellung der Saison im Kunsthaus Dresden Sie begann am 20.6.2015 und endet am 20.9.2015.  Sie heißt:

Künstliche Tatsachen:Boundary Objects

 

Diese Ausstellung war der letzte Teil eines dreiteiligen Projekts, welches durch den Fonds TURN der Kulturstiftung des Bundes, durch das Goethe–Institut und durch das IFA bezahlt wurden. In der Projektbeschreibung las sich das so: „Mit Künstliche Tatsachen initiiert das Kunsthaus Dresden. Städtische Galerie für Gegenwartskunst zusammen mit Künstler/innen, Ethnolog/innen, Historiker/innen und Kurator/innen aus Südafrika, Benin und Deutschland ein internationales Recherche-, Kunst- und Ausstellungsprojekt. Im Zentrum des Projektes stehen Objekte aus europäischen und afrikanischen Sammlungen, deren historische Entstehung unmittelbar mit kolonialen Geographien und Ethnographien verbunden ist. Dabei interessieren sowohl der damalige wie heutige Status – etwa als Trophäe oder als Beweisstücke einer entstehenden wissenschaftlichen Disziplin – und die Biographien solcher Objekte, an denen die Zurichtungen, Nachbearbeitungen und Eingriffe am Gegenstand selbst deutlich werden, als auch die gegenwärtigen Konventionen und zukünftigen Möglichkeiten ihrer Zurschaustellung in Museen und anderen Ausstellungskontexten. Die Aktivierungen an drei Stationen – Cape Town, Porto-Novo und Dresden – verstehen sich als eine Plattform, um gemeinsam mit Partner/innen und Expert/innen aus afrikanischen Ländern neuartige künstlerische Handlungsformen und kulturelle Umgangsweisen zu erproben. Ziel ist es, in einem experimentellen Veranstaltungsformat jeweils einen unbefriedeten Sammlungsgegenstand exemplarisch zu aktivieren’ und davon ausgehend Formen des Umgangs zu skizzieren, die über eine wesentliche Kolonialität der Kultur (Derrida) hinausweisen könnten.“

Das klingt doch erstmal gut, oder? Zum unverzichtbaren Handwerkszeug von Kuratoren, hier eine Frau Goltz, gehört das Postulieren von Prämissen und die anschließende Untermauerung dieser mit irgendwelchen Zitaten von irgendwelchen Großdenkern. Würde ich mich nicht so höllisch vor der Derridaschen Desintegration fürchten, würde ich mal nachschauen, was der Jaques mit der „wesentlichen Kolonialität der Kultur“ gemeint haben könnte. Vielleicht erklärt es mir ein Mutiger(*)in unter euch. Ich hab da allerdings so meine Befürchtungen bezüglich Signalwörtern und so.
Die dritte und abschließende Station Dresden jedenfalls bekam eine Ausstellung im KHDD und verschiedene Vorträge der beteiligten Künstlerixinnen in den Räumen der HfBK. Einer der Hauptgründe für das Projekt scheint mir gewesen zu sein, Künstler_Ininnen auf Projektmittel die Welt bereisen zu lassen. Da habe ich nichts dagegen.

Der Anspruch war: „Mit zum Teil eigens für die Ausstellung entstandenen Werken fordern internationale Künstler/innen den eingeübten Museumsblick der visuellen Kolonisierung heraus. In ihren Arbeiten untersuchen die Künstler/innen Blickregime und hinterfragen die Geste des Zeigens und Repräsentierens und letztlich der Konstruktion des ‚Anderen’ im Museum. Dabei interessieren sie sich für den zukünftigen Status der Objekte, die einstmals als kulturgeschichtliche Belegobjekte, Souvenirs und Trophäen gesammelt wurden und heute zunehmend einer globalisierten World Art zugeschrieben werden. Auf die Rahmung durch Vitrinen folgen nun Spotlight und Podest.“

Dieser Anspruch wurde nicht eingelöst. Eher war Ratlosigkeit das vorherrschende Gefühl beim Ausstellungsbesuch. Das ist kein Wunder. Wenn man als Außenstehender nur die Abschlussveranstaltung eines Projektes besucht, dass im vergangenen September begann, dann bleibt Fremdeln nicht aus. Es blieb mir bis heute unbekannt, was in Südafrika und Benin im Rahmen dieser „Aktivierungen“ alles vor sich ging. Die Ausstellung in Dresden war abweisend und seltsam hermetisch. Es war offensichtlich von vornherein nicht vorgesehen, dem uneingeweihten, aber interessierten Publikum von der Straße wie mir, eine zufriedenstellende Ausstellung zu geben.

Dabei hätte es interessant werden können. Diskussionen um den Umgang mit völkerkundlichen Hinterlassenschaften sind in Dresden seit den 1990ern nichts unbekanntes. Mal ging es um das Verhältnis heutiger indigener Mittelamerikaner zum Dresdner Maya-Kodex, mal um Federschmuck der nordamerikanischen Prärieindianer. Besonders hohe Wellen schlug die Rückforderung echter Skalpe durch american natives aus dem Karl-May-Museum im letzten Jahr. Das Thema ist in Dresden also durchaus präsent.

Wie war die Ausstellung? Es gab wieder die übliche Melange aus wenigen guten Sachen und viel Behauptismus. Sehr gut gefielen mir die Arbeiten von Dierk Schmidt und das Video von Penny Siopis. Da die Ausstellung ohnehin nicht wirklich für die Öffentlichkeit konzipiert war, frage ich auch nicht wirklich, was Paolo Nazareths Auseinandersetzung mit der Bevölkerung Brasiliens in einem Projekt über afrikanische Hinterlassenschaften in europäischen Museen zu suchen hat. Ich nehme an, er ist ein sehr charmanter Mann. Oder ich frage nicht, was ein Perfomänzabend mit kubanischem Voodoo sollte? Den hab ich aus Angst um mein Seelenheil lieber nicht besucht. Ich frage auch nicht, warum Karl Waldmann ausgestellt wurde? Die Geschichte hinter Karl Waldmann ist mit der Karl Ranseiers vergleichbar und entsprechend lustig. Aber nur weil auf Waldmanns konstruktivistischen Collagen Fotos afrikanischer Artefakte verwendet wurden, hängt er in dieser Ausstellung? Na, ich weiß nicht. Auch die Arbeiten des Burning Museum aus Kapstadt gingen am Thema vorbei. Es waren auf Riesig ausgedruckte, schwarzweiße JPEGs von irgendwas total Irgendwasigem. Nach dem Lesen des Kunsterklärzettels ist man nicht viel schlauer. Es ist halt blöd, wenn Wissen zum Kunstverständnis fehlt und auch nicht nachgeliefert wird. So wie hier das Wissen um das südafrikanische Wirken der Herrnhuter Brüderunität. Die Bilder erklärten auch nichts. Behauptistische Kunst, die die Kurve nicht kriegt.

Nun gut, ich bin kein Teil des Projekts, deshalb kann ich das vielleicht nicht beurteilen. Mit Lisl Ponger war auch ein inzwischen großer Name vertreten. Nur, was hat ihr Werk mit Afrika zu tun? Es dreht sich bei diesem C-Print um Nordamerika und die dortige indigene Bevölkerung. Vielleicht deshalb war noch extra ein Podest neben dem Bild aufgestellt. Es wurde suggeriert, dieses würde zum Werk Lisl Pongers gehören. Auf diesem Podest stand neben schwarz-rot-goldenem (!) Tinneff ein aufgeschlagenes Buch mit einem Foto, das Samoanerinnen bei einem Begrüßungstanz für den deutschen Konsul 1936 zeigen. Preisfrage: Zu welchem Kontinent zählt Samoa? Bonusfrage: Bis wann hatte Deutschland dort eine Kolonie? Die Antwort ist egal. Wenn es um die Nazizeit geht, ist auch das KHDD kaum zu bremsen. Deshalb bekam diese Zeit weit überproportional viel Raum. Und das meine ich wortwörtlich.

Reiterdeutsued

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Als Hobbyhistoriker freute es mich, ausführlicher mit der weithin vergessenen Deutschen Kolonialausstellung im Dresden des Jahres 1939 konfrontiert worden zu sein. Es hieß dazu im Begleittext: „Die Installation „VON EINGEBORENEN BESCHÄDIGT “ reinszeniert den kolonialen Blick der Dresdner Kolonialausstellung von 1939 und fragt nach der Herstellung einer exotischen und kolonialen Kulisse.“ Entweder erfuhr der Begriff der Reinszenierung in letzter Zeit einen grundlegenden Bedeutungswandel oder es ist die KHDD-typische Kuratorenlyrik. Zu sehen gab es Faksimiles von Zeitungsseiten, Ausstellungsplakaten und des damaligen Katalogs. Das ganze war an Sisalbespannung gepinnt, bekrönt von Geweihen afrikanischer Wildtiere. Richtig ist, dass es in der Ausstellung seinerzeit ebenfalls einige Ausstellungswände gab, die mit Sisalgewebe bespannt unter Antilopengeweihen standen. Die Instalation hier und heute gleich eine Reinszenierung zu nennen, ist allerdings Aufschneiderei. Die am Sisal angepinnten Pappen mit den Faksimiles waren bunt durcheinandergewürfelt mit Schautafeln, die die Geschichte des deutschen Reiterdenkmals in Windhuk erzählen. Dies deswegen, weil das Symbol der Kolonialausstellung jenes Denkmal aus ehemals Deutsch-Südwest gewesen wäre. Das ist leider falsch. Einzig die Deutsche Reichspost benutzte das Reiterdenkmal für ihren Sonderstempel. Aber diese ins Auge springende Tatsache hat die Kuratorin und die Künstlerin Emma Wolukau-Wanambwa nicht bekümmert. Nur durch diese Geschichtsklitterung haben sie überhaupt erst eine Installation hinbekommen, die wunschgemäß beides verknüpft, deutsche Kolonien und Nazis. Sehr schön waren die im Raum verteilten jungen Sisalpflanzen aus Plastik. Zusammen mit den Sisalsäcken an der Wand und den Antilopenhörnern waren sie voll die Reinszenierung zur Herstellung einer exotischen und kolonialen Kulisse. (Vielleicht sollte ich dies mal beim nächsten Besuch in einem afrikanischen Spezialitätenrestaurantmal anbringen?) Und weil das noch nicht reichte, gab es noch eine große Vitrine mit Nazi-Propagandabroschüren zum Thema Kolonien zu bestaunen. Ganz interessant, wenn auch nicht zu den Projektprämissen passend. Aber die Botschaft ist so klar wie kurz: Deutsche Kolonien sind voll Nazi! Ich bedaure die armen Schulkinder, die in ihrer Projektwoche so etwas über sich ergehen lassen mussten.

Mir fehlten als Autseider eindeutig das interne Wissen, sonst hätte ich vielleicht etwas mit dieser Ausstellung anzufangen gewusst. So muss ich annehmen, die Kuratorin hätte hier bewusst irgendeine bunte Mischung Ausstellungsstücke nach der Methode der Google-Bildersuche zusammengesammelt und in das Haus geschüttet, nur um bei der Abrechnung der Fördermittel schicke Fotos von schick hergerichteten Ausstellungsräumen vorweisen zu können. Zum Glück ist Freitags der Eintritt frei!

Man könnte jetzt das KHDD-typische Schludern für diese Ausstellung verantwortlich machen. Wenn man allerdings weiß, dass das Kunsthaus Dresden in Wahrheit das „An-Institut für Ausstellungstheorie und -praxis an der HfBK Dresden“ ist, dann wundert man sich nicht über die bewusste Irreführung des Publikums. Das war eine Versuchsanordnung. Stimmt’s?

cairopostnefertiti

Nicht immer bekommt man, was man erwartet!

So, das war es erstmal mit dem Kunsthaus Dresden. Vielleicht sollte ich es ab nächster Saison für meine Praxistipps berücksichtigen. Bis jetzt sind noch keine Ausstellungspläne für die Saison 2015/2016 durchgesickert. Sehr viel schlimmer als die vergangene Saison kann es eigentlich nicht werden. Ich bin gedämpft optimistisch und bleibe drann!